Gedanken zu den drei Körpern und fünf Hüllen in der Yoga-Philosophie

Achtung! Dieser Text ist lang. Er ist ein Versuch, das Gelernte des dritten (!) Ausbildungsabends der Yogalehrerausbildung in eine Form zu gießen. Mir hilft das Schreiben beim Verstehen, da ich es in Zusammenhänge bringen muss und auch ein paar Zipfel anderer, früher gelesener bzw. gelernter Aspekte damit verbinden kann. Nicht im Geringsten erhebe ich den Anspruch auf Vollständigkeit oder Fehlerfreiheit. Ich fange ja gerade erst an 😉

Ich bin Atman.

Was klingt, wie ein Superheld aus einem Marvel-Film, ist in der yogischen Philosophie das wahre, absolute, unsterbliche Bewusstsein des Individuums, eins mit Brahman, dem absoluten, unbegrenzten Universum.

Du bist auch Atman. Wir alle sind Atman.

Jede und jeder von uns hat sozusagen einen hellen, strahlenden Kern in sich, der nach dieser Philosophie niemals stirbt. Man könnte auch sagen, es ist das höhere Selbst, das Göttlich in jedem von uns.

Aber, ist dieser strahlende Kern, dieses Licht, dieses Bewusstsein so hell, dass es eine Art Sonnenschutz gibt? Ein paar Körper, Schichten, Häute, Hüllen, die bei manchen einfach nur das Licht etwas heller oder dunkler oder andersfarbig strahlen lassen, bei anderen jedoch leider auch fast verdecken.

Um mein Atman befinden sich drei Körper mit insgesamt fünf Hüllen. Ich habe Einfluss auf die Durchlässigkeit dieser Hüllen, aber dazu kommen wir gleich.

Für jeden sicht- und be-greif-bar ist mein physischer Körper, „sthula sarira“ genannt, oder auch die äußerste Hülle, meine Nahrungshülle, „anna-maya-kosha“ (aus Nahrung gemachte Hülle). Hier finden sich alle fünf Elemente und formen mein Äußeres: Erde wird zu Knochen, Wasser wird zu Blut, Feuer wird zu Körperwärme, Luft wird zu allen gasförmigen Teilen, und Äther wird zu elektromagnetischem Spektrum. Bisschen kompliziert, aber man könnte Äther damit auch als das sehen, was im Körper passiert, aber nicht Materie ist (zum Beispiel Reizweiterleitung auf Nervenebene). Diese grobstofflichen Elemente sind im Ayurveda auch bekannt als „Mahabhutas“.

Diesen physischen Körper muss ich pflegen, ich muss ihn gesunderhalten, wohl ernähren, bewegen, aber auch entspannen. Das geht wunderbar mit den bekannten Techniken aus dem Hatha Yoga (Asanas, Pranayama….). So kann ich dafür sorgen, dass das Licht, die wahre Natur meines Atmans auch durch meinen physischen Körper strahlt. Aber, und das ist vielleicht sehr wichtig für alles weitere: Unsere drei Körper mit den fünf Hüllen sind nur Instrumente, die zum einen Atman umhüllen, durch die Atman aber auch nach außen wirken kann. Daher identifizieren wir uns nicht über die Körper oder die Hüllen. Wir sorgen für sie, wir nutzen sie, aber wir sind nicht sie. Der schottische buddhistische Autor Bodhipaksa hat dazu ein tolles Buch geschrieben („Leben wie ein Fluss“), nach dessen Lektüre uns klar wird, dass unser (physischer) Körper nur wie ein Wasserwirbel ist, das Wasser jedoch stets anderes Wasser ist, welches in uns und durch uns wirbelt. Auch wenn unsere Erscheinung scheinbar gleich bleibt, verändern wir uns auf Zellebene doch ständig. Ein Satz aus dem Buch lautet: „Das ist nicht ich, das ist nicht mein, ich bin das nicht.“. Mein physischer Körper ist kein bleibendes Selbst, er ist ein Prozess. Er ist den verschiedenen Stadien der Existenz unterworfen: Er wird geboren, er wächst, er verändert sich, er altert, er wird sterben. Auf Zellebene: Zellen werden neu gebildet (wofür Nahrung nötig ist), sie wachsen, sie verändern sich, sie altern, sie sterben und werden von den noch funktionierenden Zellen quasi entsorgt, bis irgendwann das ganze physische System stirbt.

Aber selbst dann hätte ich nach der yogischen Philosophie ja noch die restlichen zwei Körper und übrigen vier Hüllen, die ebenfalls unsterblich bzw. nicht an den physischen Körper gebunden sind:

In meinem Astralkörper (linga sarira) bzw. feinstofflichen Körper (suksma sarira) finden sich drei Hüllen:

In der vitalen Hülle (prana-maya-kosha, die Hülle, gemacht aus Lebensenergie) befinden sich die Energiekanäle (Nadis), die Energiezentren (Chakren), und die fünf Lebensenergien oder Winde (Vayu), die manche auch aus dem Ayurveda kennen (Vata-Dosha):

  • Prana
  • Apana
  • Samana
  • Udana und
  • Vyana.

Prana Vayu ist die Energie hinter dem Atem, ihr ist das Atmungssystem zugeordnet, und logischerweise auch das Luftelement.

Apana Vayu ist die Energie hinter der Ausscheidung, Geburt und Sexualität, aber auch der Kreativität. Wie mir damals bei der Geburt meines zweiten Kindes die Hebamme sagte, als ich Wehenhemmer nehmen musste und mich sorgte, dass die Geburt dadurch unterdrückt wird: „Keine Angst, Geburtswehen können durch kein Medikament gestoppt werden“. Diese Energie ist sehr machtvoll zu spüren, kennt jeder, wenn er mal dringend aufs Klo musste und keins in der Nähe war… Auch sind sich manche Yogis nicht einig, ob man während der Menstruation Umkehrhaltungen machen darf – aber auch hier ist durch die Apana Energie eigentlich gesichert, dass das Blut fließt und nicht stockt. Apana sind die Geschlechts- und Ausscheidungsorgane sowie als Element die Erde zugeordnet. Ist Apana gestört, haben wir zum Beispiel Durchfall oder Verstopfung.

Samana Vayu ist die Energie hinter der Verdauung, das Feuer in uns, die Willenskraft und das Durchsetzungsvermögen. Ist Samana gestört, geht uns der Appetit verloren oder wir haben nervöse Magenbeschwerden.

Udana Vayu ist die Energie hinter dem Sprechen, dem Schlaf und der Entspannung. Auch der Tod gehört hierzu. Das Element ist Äther. Udana ist der nach oben gerichtete Lebenshauch. Mir fällt da gerade auch das Bild aus dem Harry Potter Film ein: Dort saugen die Dementoren den Menschen und Zauberern den Lebenshauch aus dem Körper, was den sicheren Tod bedeutet. So könnte man Udana Vayu sehen.

Über das Sprechen geben wir den Hauch kontrolliert ab.

Ist Udana gestört, müssen wir erbrechen, husten oder rülpsen.

Und das letzte, Vyana Vayu , ist die Energie hinter der Bewegung. Zu ihr gehört auch das Herz-Kreislauf-System und das Wasserelement. Vyana hat seinen Sitz im Herzen, breitet seine Energie in alle Richtungen des Körpers aus und steuert die Zirkulation der Energie. Ist Vyana gestört, hat der Mensch Probleme mit der Koordination und der Bewegung.

Um diese Hülle zu pflegen, zu reinigen und durchlässig zu machen, bietet sich Pranayama an. Das sind besondere yogische Atemübungen aus dem Hatha oder Kundalini Yoga.

In der nächsten Hülle, der mano-maya-kosha, oder auch geistig-emotionale Hülle, finden sich zunächst die fünf Wahrnehmungsorgane (jnanedriyas): Augen (Sehen), Ohren (Hören), Nase (Riechen), Zunge (Schmecken), Haut (Tasten).

Außerdem sind hier auch die fünf Handlungsorgane (karmendriyas) angesiedelt: Mund, Hände, Füße, Ausscheidungs- und Fortpflanzungsorgane).

Des weiteren sind hier „niedere Geistfunktionen“, der Geist (Manas) und das Unterbewusstsein und das einfache Denken (Citta) verortet.

Spätestens hier verlassen wir nun endgültig den Bereich, den wir wissenschaftlich erfassen können, und kommen ins Metaphysische. Der Teil in mir, der materialistisch und auch in gewisser Weise schulmedizinisch denkt und weiß, dass sich sämtliche Hirnfunktionen nicht vom Gehirn (also der Materie) getrennt betrachten lassen, protestiert lautstark und kann das Konzept nicht „glauben“. Berichte von Astralreisen und außerkörperlichen Erfahrungen mögen sich in den Schilderungen ähneln, aber sie sind dennoch erstens höchst subjektiv und nicht überprüfbar (und damit wieder verfizier- noch falsifizierbar, also nicht wissenschaftlich) und lassen sich zweitens auch durch neurophysiologische Phänomene erklären. Es wird schwierig sein, mich davon zu überzeugen.

Aber vielleicht muss ich das auch gar nicht „glauben“. Ich kann auch einen Schritt zurück gehen und es als jahrtausende alten Erklärungsversuch für all die Phänomene unseres Körpers und unseres Geistes sehen. Und dafür, dass er so alt ist, ist er schon ziemlich gut. Wir alle kennen zum Beispiel die Frage nach „wer ist hier eigentlich gerade von A nach B gefahren?“, wenn man nicht einen Moment bewusst weder über die Technik des Fahrens noch über das Ziel nachgedacht hat oder auch nur nachdenken musste. Dieses Phänomen ließe sich in dieser Hülle verorten. Schon spannend, dass in diesen alten Schriften (diese Philosophie stammt aus den vedischen Texten, den Upanishaden) bereits so differenziert die verschiedenen Geistesfunktionen dargestellt wurden, für die es, okay, inzwischen teilweise physiologische Erklärungen gibt. Und, zugegeben: Die Hirnforschung und Neurophysiologie sind immer noch Felder mit vielen offenen Fragen. Und das alte Leib-Seele-Problem beschäftigt die Philosoph*innen heute noch, ohne abschließend geklärt worden zu sein. Zu guter Letzt: Auch in meinem Beruf als Physiotherapeutin gibt es immer wieder Phänomene, die sich nicht allein durch Erfahrung erklären lassen. Ich persönlich arbeite sehr intuitiv und komme nicht selten in die Verlegenheit, erklären zu müssen, wieso ich das jetzt auf diese Weise gemacht habe – und es nicht erklären kann.

Da auch ich hier in diesem kurzen (haha) Text definitv nicht die unglaubliche Breite dieser Diskussion erfassen kann, belasse ich es nun dabei, halte den Zweifel, die Fragen und meinen Unglauben aus und gehe weiter.

Mano-maya-kosa wird gereinigt und „gepflegt“ durch Meditation (Raja Yoga), Rituale, Singen (Bhakti Yoga) und selbstlosem Dienen (Karma Yoga).

In der nächsten Hülle, der vijnana-maya-kosa, oder der intellektuellen Hülle, sind buddhi, der Intellekt, und ahamkara, das Ego, aktiv. Man könnte also sagen, im oberen Absatz war diese Hülle ganz schön aktiv! Ich habe bewusst über diese Probleme nachgedacht, und mein Ego fühlte sich angekratzt, weil ich etwas nicht vollständig erfassen und verstehen kann.

Vijnana-maya-kosa ist happy, wenn ich lerne, und wenn ich Fragen stelle. „Wer bin ich, und wenn ja, wie viele“ beispielsweise ;-). Es ist aber auch notwendig, die Antworten, die man möglicherweise findet, im Alltag zu leben.

Diese drei Hüllen bilden nun also meinen Astralkörper. Manas, Citta, Buddhi und Ahamkara sind dabei die vier Teile der Psyche. Eigentlich müsste man eine sehr verschachtelte Zeichnung machen, um dem ganzen Struktur zu geben – es ist alles andere als einfach, die jeweiligen Zusammenhänge darzustellen.

Die letzte Hülle ist auch der letzte Körper. Der Kausalkörper (karana sarira) ist die Ursache, der Samen für alles Grob- und Feinstoffliche. Wie auch der Astralkörper ist auch er unsterblich. Die dazugehörige Hülle heißt Wonnehülle, in Sanskrit „ananada maya kosa„. Nichts geringeres als Wonne, Freude, Glückseligkeit lässt sich hier erfahren. Aber auch, wenn man das Gefühl hat, genau zu wissen, was zu tun ist, oder genau zu wissen, dass man das Richtige getan hat,  bewegt man sich in dieser Ebene. Ich habe mal während unserer Wanderung auf dem Eifelsteig dieses Gefühl erlebt: Völlig eins mit der Natur, schmerzfrei, ohne Wunsch und Willen, ohne Individualität. Auch nach manchen Yogastunden im Savasana, wenn die Grenzen des Körpers zu verschwimmen scheinen, gab es so ein Gefühl, das man als Wonne bezeichnen könnte. Achtung, es macht süchtig. Und wie oben schon beschrieben: Das ist die Gefahr: Sich zu sehr mit einem der Körper oder einer der Hüllen zu identifizieren. Sich zu viel darin zu bewegen.

Stattdessen ist im ganzheitlichen Yoga das Ziel, all diese Körper und Hüllen nur zu nutzen, um die wahre Natur durchscheinen und wirken zu lassen und Transformation zu erfahren (also DAS geht nun wirklich zu weit, was soll das nun wieder heißen??? 😉 ). Bin ich zu sehr in einer Sache verhaftet, und sorge ich nicht dafür, dass alle Hüllen durchlässig für das „Licht“ des Atman sind, bleiben oder werden, naja, dann ist das wohl auch okay, aber dann muss ich wohl in einem nächsten Leben nochmal ran. Oder so.

Wie schrieb Niranjana, mein Ausbildungslehrer in einer Mail an uns:

„Was passiert körperlich? Dann loslassen.

Was passiert energetisch? Dann loslassen.

Was passiert emotional? Dann loslassen.

Was passiert geistig? Dann loslassen.

Was passiert jenseits von Körper und Geist? Dann loslassen und verwirklichen ;-)“

Also eigentlich alles ganz einfach, oder?

Dir schwirrt jetzt ein bisschen der Kopf? Herzlichen Glückwunsch, so geht’s mir auch. Der Trick ist, alles wieder loszulassen. Vielleicht bleibt ja was hängen, ohne daran anzuhaften 😉

Wer nun Interesse hat, noch tiefer in die Yogaphilosophie einzutauchen, dem empfehle ich ein Herumstöbern im u.g. Yogawiki, oder die Vorträge von Sukadev Bretz zum Beispiel auf YouTube anzuschauen oder auf Spotify bzw. auch den Webseiten von Yoga Vidya anzuhören. Der Mann ist ein geballtes Wissensbündel. Ich bin immer wieder begeistert. Dass er nicht einbricht unter der Last des Inhaltes seines Gehirns, muss am Yoga liegen! 😉

(Quellenangabe:

  • Yogalehrer*innen-Handbuch, Bad Meinberg, 2020
  • Bodhipaksa, Leben wie ein Fluss, Goldmann, München, 2011
  • Zu ayurvedischen Aspekten: Mark Stephens, Yogatherapie, Riva, München, 2019
  • Manche Sätze zu den Vayus sind aus dem Yogawiki entnommen. )

2 Kommentare

  1. Mir schwirrt wirklich der Kopf! Das ist arg viel Überbau, Respekt vor dem, der sich das alles ein Leben lang verinnerlichen kann. 🙈 (Ja, der unvermeidliche Augenzuhalteaffe, zu mehr bin ich gerade nicht fähig; die netten Nachbarn haben zum Schneeschippen Whiskey auf der Straße vorbeigebracht und ich habe ihn mir stante pede in alle meine Hüllen gegossen (seit Monaten habe ich keinen Alkohol zu mir genommen). Soviel dazu. 🙉🙊 (Die zwei wollten auch noch mit). Alles Liebe und Chapeau!!!

    1. Astrid sagt:

      Haha! Mit Whiskey intus ist das sicherlich nochmal schwieriger einzuordnen – oder leichter, je nachdem 😉
      Ich glaube, das ist nur noch nicht alles ab Überbau 🙈
      Wer mag, kann natürlich stets beim guten alten Hathayoga mit den Sonnengrüßen bleiben. Aber als Yogalehrer-Aspirantin muss ich sowas wohl wissen! 😅 Wünsche dir noch einen schönen, äh, geistreichen Abend! 🥃

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